Somehow We Can

Solistenensemble Kaleidoskop11 Streichquartette2025

Das Solistenensemble Kaleidoskop erkundet mit Somehow We Can die Vielschichtigkeit und Ausdruckskraft des Streichquartetts. Kuratiert von Ethan Braun – Komponist und langjähriger künstlerischer Weggefährte des Ensembles – vereint das Projekt zwölf Komponist*innen und ebenso viele Interpret*innen, die gemeinsam die Flexibilität und Aktualität dieser traditionsreichen Gattung ausloten. Sie zeigen das Streichquartett als lebendiges, komplexes Beziehungsgeflecht – als kollektiven Ausdruck von Kunst, Identität und Gesellschaft.

Mit feinem Gespür für klangliche Vielfalt, kulturelle Kontexte und musikalische Eigenwilligkeit wurde ein Programm zusammengestellt, das das Streichquartett nicht nur inhaltlich, sondern auch formal neu denkt. Die Werke reichen von Dekonstruktion und Improvisation über intensive Klangforschung bis hin zu poetischer Intimität. Einige Stücke erleben hier ihre europäische Erstaufführung. Dabei werden auch Stimmen hörbar, die im Kanon der Neuen Musik häufig marginalisiert bleiben – etwa von BiPoC- und LGBTQ+-Komponist*innen. Gemeinsam schaffen sie ein musikalisches Geflecht, das Differenz nicht glättet, sondern produktiv hörbar macht – und das Publikum zu einer vielstimmigen, gemeinsamen Erfahrung einlädt.

Somehow We Can untersucht jene Elastizität mittels zeitgenössischer Perspektiven. Elf Komponist*innen. Zwölf Interpret*innen. Elf Stücke. Drei Quartette. Eine prismenartige Darbietung dessen, was diese Kunstform in sich trägt, und wie sie sich verhält. Der erste Teil beginnt mit Yuri Umemotos Fluffy Pink! (2020) – eine ekstatische, tentakelhafte Ode an die Otaku-Kultur, wo sich vier Saiten krakenhaft gen “Moe” dehnen. Yaz Lancasters Neutral Objects (2020) erhöht das Alltägliche – Milch, Masken, Briefkästen – zu einer dadaistischen Harmonie bestückt mit Symbolen aus der Coronapandemie. In Misato Mochizukis Boids (2018) werden Tonleitern zu in Bewegung umherwirbelnden “Persönlichkeiten”, die unter dem Einfluss des Cellos auseinandersprengen und wieder zusammenfinden. Affines von Sarah Hennies beugt Tonlage, Tempo und Wiederholung zu einer verzerrten Zeit – subtil, seltsam, faltbar.

Der zweite Teil wird mit der vorausschauenden Vertonung eines Meilensteins eröffnet: Wadada Leo Smiths String Quartet No. 17 – The Capitol Buildings, Grounds, and Washington D.C. Movement 2: The Lincoln Memorial verknüpft die heterogene Präzision einer melodischen Phrase mit Wiederholung und strukturellen Verlagerungen.

Sarah Davachis Icon Studies II verwandelt mikrotonale Verschiebungen in eine gewaltige, atmende Monumentalität. In seinem Werk Sixfivetwo führt Henry Threadgill, wie Smith ebenso ein Mitglied der AACM (Association for the Advancement of Creative Musicians), Improvisation in eine notierte Form über, in der die Solist*innen mit Intervallen und Akkorden ausgestattet werden, die sie über den zerklüfteten Kontrapunkt des Ensembles hinweggleiten lassen. Raven Chacons Journey of the Horizontal People leitet den dritten Teil mit den Themen Navigation, Desorientierung und Wiederfindung ein.

In seinen Anweisungen zur Partitur schreibt er, daß es wünschenswert sei, wenn dem aufführenden Streichquartett eine weibliche Interpretin angehöre. “Diese Interpretin wird die Führung übernehmen, sobald die anderen Interpret*innen die Richtung verlieren.” In Overlay (for David Lang) von Ted Hearne, ist die Bratsche die “Sängerin”, die eine zarte, anhaltende Linie spinnt, gleich einem Echo von Langs eigener Musik.

Alvin Singletons Somehow We Can—das einzige Werk im Programm, das vor 2011 entstanden ist – findet in maßvollen, klassischen Gesten seine Entfaltung: ein deklaratives Thema, eine chorale Textur, eine klagende melodische Linie, die eine Struktur aus Variation und Wiederholung bilden. Eine Form, die die Konfrontation miteinbezieht und die Spannung des Unterschieds in einem Schwebezustand läßt. Cassandra Millers Leaving beschließt den dritten Teil mit aufmerksamem Zuhören. Millers Arbeit ist wie ein freundlicher Ausklang, eine gefühlvolle Abkehr von Dichte und übersetzt das Bild eines Freundes mit Fiedel und Vogelgesang in eine spekulative Folklore des pazifischen Nordwestens.

Das Programm präsentiert das Streichquartett als eine lebendige, sich ständig wandelnde Form, das auf zeitgenössische Visionen und Werte reagiert. Diese Elastizität mag damals noch nicht offensichtlich gewesen sein, als sich das Streichquartett zum ersten Male an die Ohren der “vernünftigen Bürger” wandte. Heutzutage dehnt es sich mühelos aus und integriert so eine Vielzahl an Stimmen, Identitäten sowie Gegensätze unserer dissonanten Gegenwart.

Programm

Yuri Umemoto – Fluffy Pink! (2020)
Yaz Lancaster – Neutral Objects (2020)
Misato Mochizuki – Boids (2018)
Sarah Hennies – Affines (2020)

Pause I

Wadada Leo Smith – String Quartet No. 17 The Capitol Buildings, Grounds, and Washington D.C. Movement 2: The Lincoln Memorial (2023)
Sarah Davachi – Icon Studies II (2021)
Henry Threadgill – Sixfivetwo (2018)

Pause II

Raven Chacon – The Journey of the Horizontal People (2016)
Ted Hearne – Exposure III: Overlay (2019)
Alvin Singleton – Somehow We Can (1993)
Cassandra Miller – Leaving (2011)

Credits
Violine Mia Bodet, Anna Faber, Malin Grass, Sarah Beth Overcash, Mari Sawada, Biliana Voutchkova
Viola Ildiko Ludwig, Yodfat Miron, Grégoire Simon
Cello Isabelle Klemt, Sophie Notte, Michael Rauter
Programm Ethan Braun
Künstlerische Leitung Boram Lie, Ethan Braun
Outside Ear Sarah Saviet
Licht Ariel Efraim Ashbel
Styling Andra Dumitrascu
Grafikdesign HIT
Team Solistenensemble Kaleidosko Volker Hormann, Boram Lie, Michael Hohendorf, Nina Braatz
Termine

Somehow We Can

Sonntag, 22.06.2025
16:00 Uhr
Produktionsprozess

Ein Projekt von Solistenensemble Kaleidoskop

Gefördert vom Musikfonds e.V. mit Projektmitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und die inm – initiative neue musik berlin e.V. / field notes

Das Solistenensemble Kaleidoskop erhält eine institutionelle Förderung als freie Gruppen ohne eigene Spielstätte durch die Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt.

In Kooperation mit dem Radialsystem.